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  • AutorenbildNahed Hatahet

Reduktion als Voraussetzung

Aktualisiert: 12. Mai 2020

Der Weg zum digitalen Arbeitsplatz kann ein steiniger sein, meint Nahed Hatahet, Geschäftsführer von HATAHET productivity solutions. Die Gründe sind unter anderem die durch die Industrie verursachte Komplexität und der aktuelle Beratermarkt.


COMPUTERWELT: Was verstehen Sie unter dem Schlagwort digitaler Arbeitsplatz?


Der digitale Arbeitsplatz liefert mir auf Basis meiner Position im Unternehmen genau jene Informationen, die ich brauche, um meinen Arbeitsalltag zu meistern. Egal wo, egal wann. Was nicht benötigt wird, sollte reduziert werden, ein Aspekt, auf den meistens vergessen wird. Der Arbeitsplatz der Zukunft bietet zudem ein selbsterklärendes User Interface, damit ich intuitiv, ohne Schulungen arbeiten kann.


COMPUTERWELT: Warum sind heutige Lösungen von diesem Anspruch meilenweit entfernt?


Die Industrie hat immer das Ziel gehabt, Tools zu entwickeln, welche die Dinge vereinfachen. Das ist eine Zeit lang gut gegangen. Doch heute steht jeder einzelne Mitarbeiter vor folgender Frage: Welches von diesen vielen Tools, die im Unternehmen in der Regel zur Verfügung stehen, muss ich nutzen, um bestimmte Informationen in der gewünschten Form zu bekommen? Das Problem ist, dass der Mitarbeiter das wissen muss. Eigentlich sollte es genau umgekehrt sein, die Information sollte wissen, zu wem sie in welcher Form gehört. Das heißt: Um den digitalen Arbeitsplatz zu schaffen, muss ich die Komplexität der Tools im Backend reduzieren. Ebenso braucht es eine Ebene mit Künstlicher Intelligenz, Bots oder Programmierroutinen, welche die Applikationen langfristig in den Hintergrund schieben und nur die relevanten Informationen automatisiert an das Frontend liefern. Das heute unumgängliche Wissen, welche Applikation ich brauche, um eine bestimmte Information zu bekommen, löst sich also im digitalen Arbeitsplatz auf.


COMPUTERWELT: Was hindert die Industrie daran, derartige Lösungen zu entwickeln?


Die Softwareindustrie ist overengineered. Sie bietet so viele Funktionen, die ein Mensch ohne Schulung gar nicht verarbeiten kann. Das ist so, als würde man jemandem, der eine einfache Einkaufsfahrt vorhat, einen Formel1-Wagen mit 40 Knöpfen am Lenkrad hinstellen. Dazu kommt, dass Unternehmen vielleicht 20 verschiedene Aufgabenmanagement-Tools im Einsatz haben, von denen jedes irgendetwas besonders gut kann. Sinnvoller wäre es, auch hier das Prinzip der Reduktion anzuwenden und sich für ein Tool zu entscheiden, das wahrscheinlich nicht alles perfekt kann, mit dem sich aber arbeiten lässt. Diese Art von Reduktion ist aus meiner Sicht eine Voraussetzung für den erfolgreichen digitalen Wandel.


COMPUTERWELT: Was sind aus Ihrer Sicht die internen Stolpersteine der digitalen Transformation?


Ein wesentlicher Punkt ist, dass viele Berater den Wandel noch nicht verstanden haben. Das bedeutet, dass man Consulter ins Haus holt, die in den letzten Jahren nichts anderes gemacht haben, als Tools zu positionieren. Ein weiterer Grund ist, dass Beratungsfirmen entweder highend beraten, ohne zu verstehen, wie die Tools funktionieren. Das heißt, ich bekomme als Kunde bestenfalls eine geniale Strategie, die sich aber nicht umsetzen lässt. Auf der anderen Seite sind jene Beratungsfirmen, die technologisch beraten, denen aber das strategische Element fehlt. Meiner Meinung nach wird der Consulter der Zukunft beides verstehen und beraten. Diesen ganzheitlichen Ansatz verfolgt HATAHET. Was ich ebenfalls in den letzten Jahren gelernt habe: Es reicht nicht, punktuelle Schulungen zu machen und zu glauben, dass sich Menschen dadurch ändern. Das zeigt auch die Hirnforschung. Die digitale Transformation schließt man nicht einfach ab. Man muss viel mehr permanent an der Veränderung arbeiten, das ist ein laufender Prozess. Sobald eine Einführung abgeschlossen ist, braucht es sofort ein Begleitprojekt, in dem die goldenen Tools strategisch positioniert werden, damit die Mitarbeiter gerne damit arbeiten und folglich dem Unternehmen etwas bringen.


COMPUTERWELT: HATAHET ist vor allem als Technologieexperte bekannt. Was war für Sie der Anlass, sich auch der strategischen Seite zuzuwenden?


Ich habe mich zunehmend mit der Frage beschäftigt, warum Lösungen, auch wenn sie technisch noch so gut sind, nicht in dem Maße genutzt werden, wie es zu erwarten wäre. Die Antwort: Es passiert, wenn man sich nur auf die Technologie konzentriert. Als Folge habe ich mein Unternehmen so verändert, dass ich zwar nach wie vor das gleiche Ziel verfolge – der Kunde soll meine Lösungen nutzen – aber das mit einer anderen Strategie: Ich sehe heute Technik nur als Mittel zum Zweck. Man braucht zwar eine goldene Lösung, aber viel mehr geht es darum, wie man diese Lösung in der Organisation verankert.


COMPUTERWELT: Was braucht es dazu?


Ich verstehe unter digitalem Wandel weniger die Digitalisierung durch die IT, sondern vielmehr die Verwandlung der Kultur in eine digitale. Dabei geht es um die Arbeitskultur, nicht die grundsätzliche Kultur. Ein Wiener Kaffeehaus braucht keine Online-Bestellung, darunter würde die Wiener Kaffeehauskultur leiden. Aber genau das plant die Industrie: Sie will, dass man hier in Zukunft mit dem Smartphone bestellt. Ich meine viel mehr den Wandel der Arbeitsweise: Das umfasst einen ToolWandel und einen Begleitprozess, damit die Menschen verstehen, warum ein Tool einen Mehrwert darstellt und warum sie damit schneller und effizienter arbeiten können. Das Vermitteln des Grundverständnisses muss man mit internem Marketing und Kommunikation begleiten.


COMPUTERWELT: Sollte man diesen Kulturwandel nicht schon vor Einführung von Tools anstoßen?


Er sollte gleichzeitig stattfinden. Mein Beratungskonzept der Zukunft könnte ich mir so vorstellen: Ich würde mir wünschen, bei meinen Kunden inkognito ein bis zwei Monate zu arbeiten, um die Arbeitsweisen kennenzulernen – nicht die Prozesse, sondern die Menschen, die damit verbunden sind. Das wäre für mich eine ideale Ist-Analyse. Auf dieser Basis könnte man ein maßgeschneidertes, individuelles Beratungskonzept schaffen. Was ich als Geschäftsführer mache und was mich von anderen unterscheidet: Ich arbeite in Wirklichkeit an der Transformation meines Ichs und meines Unternehmens. Das heißt, ich probiere die Tools selbst aus und berate nur jenes, das bei mir sehr gut funktioniert und angenommen wird.


COMPUTERWELT: Was sollten Unternehmen mitbringen, um von einem derartigen Beratungskonzept optimal profitieren zu können?


Die richtigen Personen an den richtigen Positionen. Grundvoraussetzung ist die gute Zusammenarbeit mit der IT, damit die Lösung optimal zur Verfügung gestellt werden kann. Das haben wir aber auch schon vor 20 Jahren gemacht. Heute kommt internes Marketing hinzu, um klar zu kommunizieren, was wir vorhaben. Aufklärungsarbeit ist extrem wichtig. Last but not least geht es um das Top-Management: Ein Manager, der nicht versteht, was digitale Transformation wirklich bedeutet, der wird nicht erfolgreich sein. Jene Firmen, die das Thema vom Management aus treiben, sind erfolgreich. Ich glaube auch, dass es künftig Positionen braucht, die es heute noch nicht gibt. Typisches Szenario: Der IT-Leiter versteht die Anforderungen der Fachabteilung nicht und will alles technisch lösen, die Fachabteilungen wiederum verstehen die Technik nicht. Es wäre daher wünschenswert, in jedem Unternehmen einen internen Berater zu etablieren, der die Fachabteilungen mit der IT verbindet und Marketing miteinbezieht.

 

Quelle: Interview von Wolfgang Franz mit Nahed Hatahet | Erschienen im November 2017 | COMPUTERWELT Magazin, Ausgabe Nr. 18-2017, CW Fachverlag GmbH | Autoren: Wolfgang Franz (Fragen) (Chefredakteur, transform! CW Fachverlag GmbH), Nahed Hatahet (Antworten)


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